Sonntag, 3. Mai 2009

Handy ist kein Geld

Letzten Donnerstag erschien im Tages-Anzeiger der Artikel "Das Handy gezückt, die Rechnung bezahlt" (Artikel online erhältlich). Der Hintergrund-Artikel erzählt von der Schwierigkeiten, das Handy als Bargeld-Ersatz zu etablieren. Tatsächlich ist das Bezahlen per Handy in Europa noch in den Kinderschuhen. Das Bezahlen per Handy hat sich vor allem in den Entwicklungsländern etabliert und wird dort von Kunden genutzt, die meist kein Bankkonto haben.
Eines der ersten Projekte in der Schweiz wurde 2006 gestartet. Zusammen mit der Swisscom rüstete Selecta ihre Verpflegungsautomaten in grösseren Bahnhöfen mit einem mobilen Bezahlservice aus. Das Problem: Der Dienst ist viel zu umständlich. Um die Rechnung per Handy zu begleichen, muss man einen Code eintippen und eine Nummer anrufen.
Das Anrufen auf eine Nummer ist grundsätzlich nicht umständlich. Es dürfte allerdings irritierend sein, dass es sich nicht um eine normale Telefonnummer handelt, sondern um einen sogenannten USSD-Code. Der Kunde dürfte von einer Telefonnummer, die mit einem Stern beginnt und mit der Gartenhag-Taste aufhört, überrascht sein und eventuell ist der Kunde mit der Eingabe dieser Nummer auch überfordert. Das die Produkte bei der Bezahlung mit dem Handy auch leicht teurer sind, dürfte bei den vergleichsweise teuren Automaten-Produkten wohl keine allzugrosse Rolle spielen.

Die grosse Hoffnung der Mobilfunk-Anbieter heisst Near Field Communication (NFC). Im Handy ist ein Funkchip eingebaut. Um zu bezahlen, einfach das Handy zum Terminal halten. Derzeit werden keine NFC-Handys verkauft, es gibt lediglich einzelne Geräte für Pilotprojekte. Vor etwa einem Monat haben Swisscom, Orange und Sunrise angekündigt, dass Sie zusammen mit interessierten Banken, Handelsunternehmen und Verkehrsbetrieben eine Arbeitsgruppe bilden wollen, um Möglichkeiten für NFC abzuklären und Schnittstellen zu definieren.
Ausserdem ist nicht klar, ob die Kunden das System als sicher empfinden werden. [...] Für die Mobilfunkanbieter ist das Handyportemonnaie nur dann interessant, wenn sie daran mitverdienen. Die grossen Finanzdienstleister, die den Zahlungsverkehr bisher managen, müssten ihre Einnahmen mit einer zusätzlichen Partei teilen.
Ich gehe davon aus, dass zusätzliche Sicherheitsmerkmale eingebaut werden müssen. Denkbar wäre wie bei der Zahlung mit ec- oder Kreditkarte die Eingabe eines PIN-Codes oder das Unterschreiben, eventuell auch kombiniert mit zusätzlichen Systemen wie Fingererkennung oder Digitalkamera (beim Einkauf wird ein Foto gemacht und damit der Käufer dokumentiert). Ohne zusätzliche Merkmale ist das Risiko grösser, dass die Kunden das System nicht als sicher einstufen.

Wichtig ist meiner Meinung nach auch der zweite Punkt: Bei Dienstleistungen, die man über die Telefonrechnung bezahlen kann, erheben die Mobilfunk-Anbieter sehr hohe Gebühren. Für das Bezahlen per SMS sollen 40 bis 60% des Gesamtbetrages als Inkassogebühr in der Tasche des Mobilfunk-Anbieters landen. Selbst bei der Bezahlung mit Kreditkarten fallen für den Händler Gebühren von einigen Prozenten an. Diese Gebühren sind zwar im Vergleich zu den Gebühren der Handy-Anbieter niedriger, werden aber oftmals als zu teuer empfunden. Damit der NFC sich sowohl bei Kunden wie auch bei Verkäufern durchsetzen kann, müssen die Gebühren sehr attraktiv sein.

Ich persönlich glaube daran, dass das Bezahlen über das Handy erfolgreich sein kann. Voraussetzung ist ein einfaches und sicheres Produkt, mit dem man seine Einkäufe schnell bezahlen kann. Da viele Schweizer sowieso ständig ein neues Handy zum Nulltarif beziehen (und dieses dann durch massiv überhöhte Preise abzahlen), dürften sich die NFC-Handys schnell verbreiten. Damit dürften auch Migros und Coop und viele andere ein Interesse daran haben, dieses Zahlungsmittel einzuführen. Dies werden sie vor allem dann tun, wenn sie sich Vorteile vom neuen Zahlungsmittel erhoffen. Wenn ich allerdings daran denke, dass ich mit meiner ganz normalen, altmodischen Kreditkarte in vielen Coop- und Migros-Filiale nicht einkaufen kann, wage ich dies zu bezweifeln. (Nebenbei gesagt ist es willkürlich, wo man mit Kreditkarte bezahlen kann und wo nicht. In einigen Quartierfilialen von Migros- und Coop kann man problemlos mit Kreditkarte bezahlen, doch selbst an der Migros- oder Coop-Kasse zahlreicher grosser Einkaufszentren wird die Kreditkarte nicht akzeptiert!)

Liebe Grüsse



Ralf Beyeler
Telekom-Experte von comparis.ch

7 Kommentare:

Martin hat gesagt…

Es ist schon sehr lange her, dass ich bei Coop oder Migros nicht per Kreditkarte bezahlen konnte – schliesslich haben Coop und Migros nun eigene Kreditkarten im Angebot.

In Japan ist das Bezahlen per Handy übrigens auch weit verbreitet.

Ralf Beyeler hat gesagt…

Mit der Coop und Migros-Kreditkarte kann man natürlich bezahlen. Ich habe eine VISA-Karte und kann damit öfters NICHT bezahlen, insbesondere bei Migros und Coop.

Meine Erfahrungen:
Migros im Shopping-Center Spreitenbach (grösstes Shopping-Center der Schweiz): Bezahlen mit VISA NICHT möglich (gerade in dieser Woche ausprobiert!)
Quartier-Migros in Zürich-Höngg, Migros-Filialen am Löwenplatz, am Limmatplatz und in Altstetten: Bezahlen mit VISA möglich
Migros-Filiale in Visp: Bezahlen mit VISA möglich (habe ich bereits vor zehn Jahren problemlos einsetzen können, als ich noch dort gewohnt habe)

Bei Coop kann die Karte in der Filiale Bahnhofbrücke (beim HB Zürich) und im Sihlcity benutzt werden. Nicht möglich ist das Bezahlen in Coop-Quartierfilialen in Zürich Höngg, aber z.B. auch im Einkaufszentrum Letzipark.

Absolut willkürrlich und nicht verständlich. Und die VISA ist eine der meistverbreitesten Kreditkarten. Ich will mir jedoch keine Coop und Migros-Kreditkarte vorschreiben lassen.

Liebe Grüsse



Ralf Beyeler

Anonym hat gesagt…

Mh, also ich habe schon das Gefühl, dass die Zusatzgebühren bei den Selecta-Automaten plus die Einschränkung auf Swisscom ein Problem für die Akzeptanz sind: Solange ich noch Bargeld bei mir habe, werfe ich doch lieber das in den Automaten, statt Extra-Gebühren zu entrichten. Die Handy-Zahlung ist damit am Selecta-Automaten nur dann eine Alternative, wenn ich gerade keine Münzen habe. Das kommt hin und wieder vor, aber eben nicht oft genug, um das Mobiltelefon zum Massen-Zahlungsmittel zu machen.

Anonym hat gesagt…

Bezahlen per Handy finde ich an sich eine gute Idee! Wenn z.B. gerade kein Kleingeld vorhanden ist... Allerdings klingt das für mich so, als wäre dann das Handy der Kreditkarten Ersatz... und die Gefahr sich zu verschulden ist noch grösser, vor allem bei Teenager und Jugendliche. Kreditkarten sind ja immerhin erst ab 18 erhältlich. Mit Prepay könnte das ja noch gehen... wenn Guthaben Leer, muss halt wieder aufgeladen werden... aber wenn ich dann überall mit meinem Handy statt mit Kreditkarte und Bargeld bezahlen kann, könnte der Schuss in die falsche Richtung gehen: Kunde kann (Handy-)Rechnung nicht mehr bezahlen, Abo wird gesperrt und es wird weniger telefoniert. Zwar haben die Schulden der Schweizer noch nicht Amerikanische Verhältnisse angenommen, doch wenn man Statistiken glaubt, dann sind die Jugendlichen heute schon überschuldet. Ein "Kreditkarten"-Handy könnte meiner Meinung nach diese Tendenz noch verschärfen!
Gruss, Manu

Ralf Beyeler hat gesagt…

Hallo Manu

Man könnte das Ganze auch an ein Bankkonto binden und dann die Zahlungsfunktion nur nutzen, wenn auch Geld auf dem Konto ist. Also keine Kreditkarte, sondern eine Debitkarte. Oder aber als Prepaid-Variante, wobei ich nicht glaube, dass sich das durchsetzen wird.

Das Handy würde nur zum Bezahlen benutzt, verrechnet würde weiterhin über Kreditkarte, Bankkonto, etc.

Liebe Grüsse



Ralf Beyeler

Anonym hat gesagt…

Aha, ich dachte man bekäme dann eine "All-in-one" Rechnung. Ähnlich wie wenn man eine (mehr oder weniger) Teure 09xx Service Nummer anruft. Da bezahlt man ja den Anbieter auch über die Telefonrechnung.
Ich habe übrigens schon 2x in meinem Leben über eine 09xx Nummer etwas gekauft bzw. aktiviert (Software). Die Kosten waren ganz klar deklariert und ich habe keinen Rappen mehr bezahlt und meine Software Vollversion nutzen können. Solche Angebote habe ich aber schon lange nicht mehr gesehen.
Ja, man müsste das Bezahlen mit dem Handy wie eine DebitKarte handhaben.
Manu

Ralf Beyeler hat gesagt…

Ich denke, man muss nicht zu viel vorschreiben. Für einige Kundenwäre die Debitkarte (also Direktbelastung auf dem Bankkonto) sicher gut. Andere Kunden würden mit einer Prepaid-Karte besser fahren und einige wünschen sich wohl auch die Belastung auf der Kreditkarte.

Liebe Grüsse



Ralf Beyeler