Sonntag, 22. November 2009

Wer soll Glasfasernetz bezahlen?

In der aktuellen Ausgabe der Handelszeitung ist ein Artikel erschienen, der sich die Frage stellt, wer das Glasfasernetz bezahlen soll (Artikel auch online verfügbar).

Bereits der erste Satz des Artikels lässt aufhorchen:
Schweizer Kunden müssten bereit sein, für Glasfaser-Telekomleistungen rund 60 Prozent mehr zu bezahlen als heute.
Dazu kann ich nur sagen: Keine Chance. Die meisten Kunden sind nicht bereit, mehr als die heutigen Preise zu akzeptieren. Ein paar wenige Kunden haben bereits heute schnellere Geschwindigkeiten und sind bereit, ein paar Franken mehr im Monat zu bezahlen. Auch ich gehöre dazu, doch ich habe mir ein preisgünstiges Angebot ausgewählt und bezahle trotz der fast dreimal so schnellen Geschwindigkeit weniger als die meisten anderen Kunden. Man muss sich bewusst sein, dass es ein paar wenige Freaks betrifft, die einen schnelleren Internet-Zugang wollen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass Kunden nicht bereit sein, für den Glasfaseranschluss einen Aufpreis zu bezahlen.
Nur dann werden sich die Investitionen in die teure neue Telekom-Infrastruktur jemals rechnen.
Dies ist eine sehr mutige Aussage, denn niemand weiss, wie sich die Kunden in fünf bis zehn Jahren verhalten werden. Genauso weiss man nicht, wie teuer der Ausbau der Glasfasernetze in einigen Jahren sein wird. Man kann davon ausgehen, dass die Kosten für den Ausbau durch moderne Technologien niedriger werden.

Die Aussagen im Handelszeitung-Artikel beziehen sich auf eine Studie der Beratungsfirma Bain, die im Auftrag der Cablecom-Muttergesellschaft Liberty Global erstellt worden ist. Die Studie berücksichtigt die Situation in Westeuropa inklusive der Schweiz.
Die Studie warnt davor, das Thema «Breitband-Zugang» insbesondere von politischer Seite derart zu forcieren, dass an den effektiven Kundenbedürfnissen und betriebswirtschaftlichen Break-even-Überlegungen vorbeigeplant werde.
Das Problem ist, dass heute niemand weiss, wie das Kundenbedürfniss in fünf oder zehn Jahren aussehen wird. Dies ist angesichts der Lebensdauer von mindestens 30 Jahren für eine Glasfaser auch nicht möglich. Man kann nur aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit abschätzen, wie sich der Markt entwickeln könnte.

Vor zehn Jahren surften die meisten Kunden mit 40 bis 64 Kbit/s durch das Internet, heute sind 5'000 Kbit/s weit verbreitet. Hätte mir vor zehn Jahren jemand gesagt, dass man heute etwa hundert mal schneller surft, hätte ich ihn glatt ausgelacht. Ich habe nicht erwartet, dass heute alle so schnell surfen. Niemand kann sagen, ob in zehn Jahren 100 Mbit/s – das wären 20mal mehr als heute – für die meisten Kunden völlig ausreichen. Oder ob es hundert mal mehr – also 500 Mbit/s – sein werden.

Die Anbieter gehen ein unternehmerisches Risiko ein. Ich denke, dass Swisscom wie auch die Energiewerke, die in Glasfaseranschlüsse investieren, sich über das Risiko bewusst sind. Als das Mobilfunk-Netz vor Jahren aufgebaut worden ist, wusste auch niemand, ob sich das Ganze jemals rechnen wird. Heute werden mit der Handynutzung Milliardengewinne gemacht. Oder das Beispiel SMS: Als SMS eingeführt worden ist, konnte sich niemand vorstellen, dass die Kunden eines Tages so viele SMS versenden werden. Auch die Energiewerke sind sich langfristige Entscheidungen gewohnt: Der Bau von Kraftwerken ist nicht billig und niemand kann sagen, ob der Strom des Kraftwerkes auch in 30 Jahre noch gebraucht wird oder ob es bis dann längst eine günstigere Möglichkeit gibt.

Was wäre die Alternative zum unternehmerischen Risiko: Swisscom will auch in Zukunft Telekom-Dienstleistungen anbieten und muss rechtzeitig die Infrastruktur ausbauen. Ansonsten läuft Swisscom Gefahr, dass sie Kunden an Konkurrenten verlieren werden. Und dies will Swisscom verhindern und investiert deshalb in Glasfasernetze.
Interessant sind die Schlussfolgerungen allemal. Konkret rechnen die Bain-Spezialisten vor, dass sich die hohen Investitionen in die neue Infrastrukturgeneration innert nützlicher Frist kaum einspielen lassen. Selbst wenn die Nachfrage nach Glasfasern auf 100% steigen würde, müssten die Preise für die Kunden um rund 60% in die Höhe gehen, damit sich die Glasfaserinvestitionen innerhalb von fünf Jahren bezahlt machen.
Ich finde diese Aussagen höchst unseriös. Kein Unternehmen, dass in Glasfaser investiert, wird damit rechnen, dass die Investitionen bereits nach fünf Jahren abbezahlt sind. Hätte man vor 20, 50 oder 80 Jahren beim Verlegen von Kupferleitungen auch damit gerechnet, dass die Investitionen innert fünf Jahren amortisiert wären, würden wir heute noch mit Rauchzeichen kommunizieren. Man hätte nie Telefonleitungen verlegen dürfen. Als die Telefonleitungen vor Jahrzehnten verlegt worden sind, hat sich niemand vorstellen können, welche Übertragungsleistungen diese Kabel im Jahr 2009 erbringen werden.

Ich persönlich halte eher 15 oder 20 Jahre für eine nützliche Frist, um die Investitionen amortisieren zu können. Immerhin wird das heute verlegte Glasfaserkabel mindestens 30 Jahre funktionieren, wahrscheinlich noch viel länger. Ich gehe davon aus, dass in 5, 10, 15 oder 20 Jahren die Leistungen des normalen Telefonkabel wie auch das Kabel-TV-Kabel für alle Kunden zu wenig leistungsfähig ist. Nicht abschätzen kann ich, wann wir soweit sind, dass die Kapazitäten der heutigen Kabel nicht mehr ausreichen.
Swisscom-Sprecher Sepp Huber erklärt: «Kunden sind nur bereit mehr zu bezahlen, wenn über Glasfasern auch mehr Leistung, zusätzliche Angebote oder mehr Komfort offeriert wird. Bezieht der Kunde die gleiche Leistung statt auf Kupfer via Glasfaser, so bleibt auch der Preis gleich.»
Ich gehe sogar noch weiter. Die Mehrheit der Kunden ist nicht bereit, mehr als die rund 75 Franken (ADSL und Festnetz-Anschluss zusammen) pro Monat zu bezahlen, die heute üblich sind. Der Anteil der Kunden, die diesen Preis zu hoch finden, nimmt zudem zu. Es sind zwar erst vergleichsweise wenige Kunden, doch Sunrise konnte bereits über 100'000 Kunden gewinnen, die für ihren Festnetz- und Internet-Anschluss nur 30 bis 59 Franken pro Monat bezahlen. Und ich glaube nicht, dass diese Kunden bereit sind, mehr für den Anschluss zu bezahlen.
Wie viel Kunden dereinst wirklich zahlen müssen, ist also noch völlig offen - wohl über 100 Fr. pro Monat.
Mit solchen Preisen werden Glasfaseranschlüsse ein Nischenmarkt bleiben. Ich gehe davon aus, dass etwa das heutige Preisniveau erreicht wird. Eher unwahrscheinlich dürfte sein, dass die Preise massiv darunter liegen werden.
«Die nächsten fünf Jahre brauchen Privatkunden allerhöchstens Bandbreiten von rund 100 MBit/s», prognostiziert Schädler (Bain). Um diese Bandbreite zu erreichen, würden die Koaxialkabel der Kabelnetzbetreiber reichen. Für eine Mehrheit der Kunden reichten gar 50 MBit/s, sagt Schädler (siehe Grafik). «Und das ist mit den bisherigen Kupferkabeln machbar.»
Solange nur ganz wenige Kunden mit so hohen Geschwindigkeiten durchs Internet surfen, reichen die Koaxialkabel der Kabelnetzbetreiber tatsächlich völlig aus. Doch sobald solche Geschwindigkeiten für die meisten Kunden üblich sind, reicht die Kapazität der Kabelnetzbetreiber nirgends hin. Die heutigen Kupferkabel sind bereits heute am Anschlag: Bereits heute surfen rund die Hälfte aller Kunden mit einem 5000er-Internet-Zugang der Swisscom (und anderer Anbieter bei Angeboten, die auf dem Wiederverkaufsangebot (BBCS) der Swisscom basieren), die über die veraltete ADSL-Technologie angeschlossen sind, nicht mit der bezahlten Geschwindigkeit. Mit VDSL können heute etwa 80% der Haushalte mit einer Geschwindigkeit von 8 Mbit/s erreicht werden. Mit ADSL2+ dürften auch etwa drei Viertel aller erschlossenen Haushalte eine Geschwindigkeit von rund 8 Mbit/s erreichen. Die 50 Mbit/s dürften nur erreicht, wenn die Kupferleitung sehr kurz ist. Mit ist eine solche Aussage rätselhaft.

Ich glaube, dass diese Studie nur erstellt worden ist, damit die Kabelnetzbetreiber gegen die Glasfasernetze Stimmung machen können. Für die nächsten zwei bis fünf Jahren dürften die Kabelnetzbetreiber am meisten profitieren, wenn es zu Verzögerungen beim Ausbau der Glasfasernetze kommen würde. Doch dies wäre für den Wettbewerb sehr schlecht.

Liebe Grüsse



Ralf Beyeler
Telekom-Experte von comparis.ch

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Apropos «mehr bezahlen«: Woher soll das Geld dafür kommen?

Unsere Systemkrise dürfte erst gerade begonnen haben, die meisten Schweizer dürften sich an sinkende Einkommen gewöhnen müssen.

Jürgen St. hat gesagt…

Bandbreitenhunger... sind wir doch mal ehrlich, die meisten Nutzer sind heute mit 25-30 MBit voll und ganz zufrieden, sie haben sich für diese Bandbreite entschieden, weil sie keine Kabel ziehen wollen, sondern lieber ein WLAN nutzen.

Auch 300 MBit werden irgendwo netto und mit Störungen bei 100 MBit landen.

Glasfaser bis zum Haus bedeutet auch Glasfaser oder zumindest Cat5(e) bis zum Rechner, dann wird es wirklich schnell.

Immerhin haben wir hier in der Schweiz ja 3 Varianten um ins Netz zu kommen, ein Flächendeckendes 3.5G Netz, einen Kabelanbieter mit theoretisch schnellem Netz und praktisch langsamen Kundenservice und das gute alte Festnetz.

Harren wir der Dinge... der Markt wird es schon richten. Verlierer wird es geben... wo wir beim Thema Glas sind - Scherben bringen Glück.

Anonym hat gesagt…

Sehr interessanter Artikel.

Für 50% Mehrpreis kriegt man bei der Cablecom zB 10x schnelleren Internetanschluss.
Das riecht für mich nach Quersubvention resp. Abzocke.
Wenigstens kriegt man nun bei denen ein Gratisanschluss (+30.-Fr Aktivierungsgebühr gemäss Kleingedrucktem) mit 300kBit, der mir und wahrscheinlich auch vielen anderen vollauf genügt.
So übernimmt die Cablecom ungewollt noch eine soziale Rolle, indem sie jedermann einen Internetanschluss gewährleistet.
Die Swisscom als Pseudostaatsbetrieb hält das nicht für nötig, sondern es scheint mir, ist nur noch dafür da, um möglichst viele Einnahmen für den Bund zu generieren.